Reisebericht meiner Wanderung auf dem europäischen Fernwanderweg E1 und der GTA im Sommer 2014. Im dritten Teil rege ich mich über liegengebliebenen Abfall auf, kürze ab, klage weiterhin über schmerzende Füße (und zusätzlich noch über nasskaltes Wetter), verdurste fast als die Sonne mal kurz rauskommt und lasse mich mehrfach reich beschenken.
- Teil 1: Die Planung
- Teil 2: Von Detmold zum Diemelsee
- Teil 3: Vom Diemelsee nach Bad Marienberg
- Teil 4: Von Bad Marienberg zum Großen Feldberg / nach Darmstadt
- Teil 5: Von Darmstadt in den Kraichgau
6. Etappe: Diemelsee - Willingen
Sonntag, 15.06.2014 | Abweichend vom E1-Verlauf, gegen Ende Teil der Etappe Etappe 6.2 Schweinsbühl - Niedersfeld | ca. 16km
Am Morgen ist es kalt und es nieselt. Aber nicht nur draussen ist es nass, auch im Zelt. Über Nacht sammelt sich immer eine unglaubliche Menge Kondenswasser, das bei der geringsten Bewegung der Zeltplane herabregnet. Mir ist nicht ganz klar, ob ich beim Aufbau irgendwas falsch mache, oder ob es ein generelles Problem dieses Zeltes ist. Aber alles halb so schlimm, denn meinen Füßen geht es etwas besser und ich bin froh, endlich von diesem Campingplatz weg zu kommen. Bleibt immer noch das Problem des zu schweren Rucksacks.
Die Kartusche meines Kochers verschenke ich an eine junge Familie, die übers Wochenende die "Bike", ein Mountainbike-Festival in Willingen besucht hat. Sie laden mich noch auf einen Kaffee ein, aber ich beschließe sofort loszugehen. Der "Diemelsteig" soll mich kurz vor Willingen wieder zum E1 bringen. An sich ein sehr schöner Weg, wäre er nicht in den Tagen zuvor als Mountainbikestrecke für die "Bike" genutzt worden. Der Weg ist kilometerlang übersät mit weggeworfenen Energieriegel-Verpackungen. Alle paar Meter findet sich ein Stück Folie, einen ganzen Teil davon hat der Wind mittlerweile in die angrenzenden Wälder geweht. Ich bin fassungslos und wütend. Wie kann es sein, dass die Fahrer ihren Müll einfach wegwerfen?? Selbst für den Fall, dass da im Anschluss noch aufgeräumt wird, wäre es niemals möglich, alles restlos aufzusammeln. Ein echter "Abturner" und eine Antiwerbung für die Veranstaltung.
Ich habe die Etappe extra kurz angelegt, um meine Füße nicht gleich wieder ans Limit zu bringen. Am frühen Nachmittag erreiche ich, mit immerhin "nur" leicht schmerzenden Füßen Willingen. Gerne wäre ich an diesem Tag weitergegangen, denn diesen Ort ist einfach nur schrecklich. Ein reiner Touristenort mit austauschbaren Hotels und Restaurants, die auch noch den Eindruck erwecken, als würden sie alle irgendwie die gleichen Besitzer haben. Es ist mir rätselhaft, wer hier hinfährt, um seinen Urlaub zu bringen. Vermutlich konzentriert sich hier alles auf den Winter, der Ort verfügt ja sogar über eine Skisprungschanze.
Meine Hoffnungen, am nächsten Tag im lokalen Sanitätshaus irgendeinen tollen Ratschlag zur Optimierung meines Schuhwerks erhalten zu können werden leider zerschlagen. Montag Ruhetag. Ich finde eine kleine, günstige Pension, das "Jagdschlösschen" und mache am Abend nochmal einen Abstecher in den Ort. Da mich keine Lokalität wirklich einlädt, gibt es nur eine Currywurst am Imbiss und ich beende den Tag Fussball-WM schauend auf meinem Zimmer.
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7. Etappe: Willingen - Altastenberg
Montag, 16.06.2014 | Teile der Etappen 6.2 Schweinsbühl - Niedersfeld und 6.3 Niedersfeld - Oberkirchen | ca. 25km
Trotz der mich ziemlich irritierenden Jagdtrophäen, die in der Gaststube der Pension ausgestellt sind, genieße ich mein Frühstück sehr. Bevor es auf dem E1 weitergeht, gehe ich nochmal in den Ort, kaufe ein wenig Verpflegung ein und schicke von der Post ein Paket mit meinen verbliebenen Kochutensilien nach Hause. Zusammen mit der bereits verschenkten Gaskatusche sollte das Gewicht des Rucksacks dadurch um ca. 2 Kilogramm abgenommen haben.
Das Wetter zeigt sich leider weiterhin von einer eher ungemütlichen Seite. Es ist kalt und bedeckt, aber trocken. Der Weg führt stetig bergauf über Waldwege. Schließlich erreiche ich eine wunderschöne Hochheide und wenig später mit dem Kreuz auf dem Clemensberg (839m) den ersten richtigen "Gipfel". Hier bietet sich ein toller Blick über das Sauerland. Kurz nach Beginn des Abstiegs komme ich sogar an einer Art Berghütte vorbei, wo ich ein bißchen "Alpenfeeling" tanke und eine Apfelsaftschorle zu mir nehme. War ich zuvor noch vollkommen allein unterwegs, herrscht hier reger Betrieb und einige Wandergruppen nutzen den Ort zur Rast. Vermutlich, weil hier der Rothaarsteig den E1 kreuzt.
Nach einem kurzen Abstieg erreiche ich Niedersfeld, ein für das Sauerland typischer Ort mit Häusern, deren Fassaden teils mit Schieferplatten verkleidet sind. Die Füße halten heute erstaunlich gut, das niedrigere Gewicht des Rucksacks scheint sich direkt positiv bemerbar zu machen. So kann ich den Weg auf dieser Etappe endlich richtig genießen. Dennoch bleibe ich an einem Abzweig kurz hinter Niedersfeld stehen und überlege den E1 zeitweise zu verlassen und einen Abstecher nach Winterberg zu machen. Denn dort soll es laut google-Maps ein Sanitätsgeschäft geben und ich habe die Hoffnung, dass mir dort vielleicht mir irgendwelchen Einlagen bei meinen Fussproblemen geholfen werden könnte.
Während ich dort so unschlüssig stehe und eigentlich keine Lust habe, nach Winterberg zu gehen, kommt mir ein anderer Wanderer entgegen. Er stellt sich mir als Markus vor und ist ebenfalls auf dem E1 unterwegs. Allerdings von Pforzheim aus in nördlicher Richtung. Er will erst einmal bis Detmold laufen und im Herbst eine zweite Wanderung von dort nach Flensburg unternehmen. Es ist schön, jemanden unterwegs zu treffen und ein wenig über den Weg und seine Erlebnisse zu plaudern. Markus ist deutlich "professioneller" unterwegs als ich: mit leichterem Gepäck, ultraleichten, auseinandernehmbaren Stöcken, auf die er sehr stolz ist und mit einem eigenen Stempel mit seinem Gesicht drauf, den er z.B. für die Gästebücher von Unerkünften nutzt. Auch ist dies nicht seine erste längere Fernwanderung. Mehr zu ihm uns einen Reisen findet man auf seinem Blog.
Zum Abschied schenkt mir Markus seine Wanderkarte, da er diese bereits "durchwandert" hatte. Der E1 ist darauf von ihm rosa markiert eingemalt. Ein tolles Geschenk. Ich hatte mich bisher komplett auf mein GPS verlassen, was soweit gut geklappt hat, aber mit einer richtigen Karte hat man doch einen deutlich besseren Überblick über die Landschaft, die man da so durchwandert.
Kaum ist Markus weitergegangen, entschließe ich mich, dem E1 weiter zu folgen und nicht nach Winterberg zu gehen. Schließlich machen die Füße ja momentan sehr gut mit. Am Rande eines trostlosen Gewerbegebiets komme ich an einer Outdoor-Kartbahn vorbei. Diese Kartbahn weckt in mir ein paar alte Erinnerungen, denn genau hier habe ich als Kind schon ein paar Runden gedreht. Ich war damals mit meinen Eltern auf dem E1 unterwegs und wir hatten hier Pause gemacht. Ich erinnere mich noch, dass ich mir in der harten Sitzschale auf der holprigen Piste den Rücken blutig gefahren hatte und noch monatelang braune Flecken zu sehen waren. Trotzdem eine schöne Erinnerung.
Es geht steil bergauf, Nieselregen setz ein. Da die Jugendherberge in Winterberg telefonisch nicht zu erreichen ist, beschließe ich nach Altastenberg zu gehen und mir dort eine Unterkunft zu suchen. Pünktlich zum Anpfiff des ersten WM-Gruppenspiels der deutschen Mannschaft gegen Portugal (4:0) finde ich in der Pension "Linda" Unterschlupf und kann dem unbehaglichen Wetter entfliehen.
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8. Etappe: Altastenberg - Bad Berleburg - Raumland
Dienstag, 17.06.2014 | Teile der Etappen 6.3 Niedersfeld - Oberkirchen, 6.4 Oberkirchen - Bad Berleburg und 6.5 Bad Berleburg - Bad Laasphe | ca. 37km
Nach leckerem Frühstück und einem kurzen Plausch mit der Wirtin geht es los. Ich freue mich ja über so ziemlich jede Erhebung entlang des Weges, jeder Berg gibt mit der Gefühl, meinem fernen Ziel, den Alpen wieder ein klitzekleines Stück näher gekommen zu sein. Und so freue ich mich sehr, dass schon nach wenigen Kilometern mit dem "Kahlen Asten" ein solcher Berg überschritten wird. Aber irgendwie schaffe ich es auf Grund meines Abstechers nach Altastenberg den Kahlen Asten zu "verpassen". Irgendwo bin ich entscheidend falsch abgebogen. Ich versuche, mich nicht allzusehr zu ärgern, was mir angesichts des wirklich schönen Weges, der mit viel Auf und Ab durch Wälder führt auch bald gelingt.
Kurz hinter dem Ort "Schanze", wo man von einer surreal wirkenden, den Weg überragenden goldenen Skulptur begrüßt wird treffe ich auf ein älteres Ehepaar. Sie sind 84 und 85 Jahre alt und erstaunlich gut zu Fuß. Wir laufen einige hundert Meter gemeinsam und plaudern, ich muss mein Tempo dabei kaum reduzieren. Sie erzählen von vergangenen Wanderungen, von ihrer Verbundenheit zum Sauerländischen Gebirgsverein und, dass sie oft in diese Gegend kommen. Früher zum Wandern, heute zum Spazierengehen. Es sei halt wichtig, sich immer in Bewegung zu halten. Das glaube ich gern und bin beeindruckt von der jugendlichen Art der beiden.
Es ist immer noch kühl, aber immerhin lässt sich von Zeit zu Zeit die Sonne für einen kurzen Moment blicken. Der Weg ist sehr schön, teils geht es durch Wälder, teils bieten sich schöne Ausblicke. Immer wieder begegnet man Kunstwerken des Waldskulpturenwegs. Kurz vor Bad Berleburg steuere ich einen Hof an, der ein Hotel beherbergt um einen Platz für die Nacht zu suchen. Mein Wunsch, das Zelt aufzuschlagen hält sich abends dann doch in der Regel in Grenzen. Zu verlockend ist die Aussicht auf ein warmes Bett und ein "Feierabendbier". Der Hof ist schön gelegen und bietet einen schönen Blick von seiner Aussenterrasse. Genau das richtige für diesen Abend. Aber leider sind alle Zimmer belegt. So steige ich etwas enttäuscht hinab in den Ort. Ich klingle bei mehrern Pensionen. Mir wird überwiegend von älteren Frauen geöffnet, die mich skeptisch betrachten und mitteillen, dass alles belegt sei. Ich bin mir da teilweise gar nicht so sicher, ob das wirklich stimmt. Aber was bleibt mir übrig, weiter geht's!
Ausgerechnet heute, auf meiner bisher längsten Etappe stelle ich mich darauf ein, weiterzugehen und mir einen Platz im Wald zu suchen. Ich mache Pause bei einer Pizzeria und mache mich auf den Weg. Ich vertraue zu sehr meinem GPS und komme vom Weg ab. Es gibt zwar gelegentlich Markierungen, aber es scheint nicht mehr der aktuelle Wegverlauf zu sein. Ich komme durch einen ziemlich heruntergekommenen Teil Bad Berleburgs und einen hässlichen Wald. Hinter der kleinen Ortschaft Raumland wird es wieder schöner. Nach einem kleinen Aufstieg suche ich nach einem geeigneten Platz zum Schlafen. Auf einem etwas abseits des Weges gelegenen Felsplateau habe ich zwar einen traumhaft schönen Blick, aber es wimmelt nur so vor Ameisen. Und ein Zelt kann hier nicht aufgebaut werden. Also weitersuchen. Da hier alles ziemlich abschüssig ist, brauche ich noch eine Weile, bis ich einen Platz für meinen kleines Zelt gefunden habe. Ich bemühe mich, möglichst keinen Schaden im Wald anzurichten und warte auf die Dämmerung. Was allerdings eine Weile dauert, um diese Jahreszeit ist es bis spät in den Abend hinein taghell.
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9. Etappe: Raumland - Lahnhof
Mittwoch, 18.06.2014 | Teile der Etappen 6.5 Bad Berleburg - Bad Laasphe und 6.6 Bad Laasphe - Lahnhof | ca. 33km
Mein Wecker klingelt um 04:45 Uhr, kurz vor Sonnenaufgang. Diesen möchte ich auf keinen Fall verpassen. Ich habe schlecht geschlafen, ich glaubte die ganze Nacht Schüsse zu hören und stellte mir vor, wie von Jägern aufgeschreckte Wildschweine in vollem Tempo durch mein Zelt rasen. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob zu dieser Jahreszeit überhaupt gejagt wird. Wie auch immer, so ganz in meinem Element war ich dann doch nicht so allein im Wald.
Ich baue mein Zelt ab und laufe ein paar hundert Meter bis zu einem Punkt, an dem der Wald sich öffnet und beobachte den Sonnenaufgang. Der Boden ist noch feucht und der Nebel hängt in den Tälern. Dafür hat es sich absolut gelohnt, so früh unterwegs zu sein. Ich bin ein wenig enttäsuscht, nicht generell "mutiger" zu sein und öfter die Gelegenheit zu nutzen wild zu zelten. Denn auf diese Weise ist man doch ein ganzes Stück dichter an der Natur, dem Wetter, den Tageszeiten. Bisher habe ich ja doch fast jede Gelegenheit genutzt einen festen Schlafplatz zu bekommen. Das Zelten ist dabei nicht das Problem, viel mehr stört mich das "sich verstecken müssen".
Ich bin müde und noch erschöpft vom Vortag. Die Schuhe sind klitschnass vom Gras. Ich mache viele Pausen und komme nur langsam voran. Es geht durch immer flacher und offener werdende Landschaften. Gar nicht so sehr nach meinem Geschmack, meinetwegen könnte es immer weiter nach oben gehen. Da es nicht wirklich rund läuft, überlege ich, mir schon in Bad Laashpe eine Unterkunft zu suchen. Doch der erste Eindruck vom Ort schreckt mich eher ab und ich beschließe meinen Weg fortzusetzen und gegebenenfalls wieder im Zelt zu übernachten. Direkt hinter Bad Laasphe steigt der Weg wieder an und führt durch viel Wald. Trotz des Schattens wird es ein recht warmer Tag und ich gerate ordentlich ins Schwitzen. Bei einer Pause recherchiere ich ein wenig mit meinem Smartphone und stelle fest, dass es an der Lahnquelle eine Übernachtungsmöglichkeit gibt. Ich rufe sofort an und frage nach, ob es noch ein freies Zimmer gibt. Ich sehne mich sehr nach einem gemütlichen Bett. Zu meiner Freude gibt es das und ich mache mich auf den Weg. Bis zu meinem Ziel sind es noch 15 Kilometer und es ist mittlerweile schon Nachmittag. Ich muss mein Tempo deutlich steigern um rechtzeitig zum Abendessen anzukommen.
Nach wenigen Kilometern stelle ich fest, dass mein Wasser zur Neige geht. Was ein Schlamassel. Ich habe in Bad Laasphe vergessen, Wasser nachzufüllen und mir bleiben nur noch wenige Schluck für die verbleibenden Stunden bei recht hohen Temperaturen. Umkehren möchte ich nicht und so beschließe ich, meinen Weg fortzsetzen. Schnell wird mir klar: Das geht so nicht. Ich merke, wie wichtig Wasser bei einer anstrengenden Wanderung bei solchem Wetter ist und erfahre zum ersten Mal wie schnell die Kräfte schwinden, wenn Wasser fehlt. So würde ich mein Ziel vermutlich nicht erreichen. Ich biege schweren Herzens vom E1 ab um nach Herbertshausen zu wandern und dort mein Wasser aufzufüllen. Keine leichte Entscheidung in Anbetracht der zusätzlichen Kilometer.
Kaum habe ich den E1 verlassen, kommt mir ein orangener LKW entgegen, der das Gras am Wegesrand mäht. Ich wittere meine Chance, winke dem Fahrer zu, bitte ihn zu halten und frage ihn, ob er etwas Wasser dabei hat, das er abgeben könne. Der freundliche, verschwitzte Mann sagt, er habe zwar selber kaum noch was zu trinken, aber bald Feierabend und reicht mir eine PET-Flasche mit Apfel-Traubensaft-Schorle. Mein Retter! Dankbar nehme ich die Flasche entgegen und mache mich blendend gelaunt wieder auf den ursprünglichen Weg.
Dennoch muss ich sparmsam sein und teile mir den kostbaren Inhalt der Flasche so ein, dass sie genau bis zur Lahnquelle hält. Alle 15 Minuten einen Schluck. Nie war mir der Wert von Wasser so bewusst wie an diesem Tag. Doch auch so ist der Weg recht anspruchsvoll. Es gibt einige knackige Steigungen und auf einem längeren Abschnitt liegen unzählige Bäume kreuz und quer und ineinander verkeilt. Super anstrengend. Ich bin so auf das Laufen und Ankommen fokussiert, dass ich von der Landschaft kaum noch etwas mitbekomme.
Wenige Kilometer vor meinem Ziel war dann schlagartig Schluss mit meiner Wasser-Sparsamkeit. Denn ich erreiche die Ise-Quelle und diese bietet köstlich kühles Wasser in endlosen Mengen. So kann ich den Rest meines kleinen Saftschorlengetränks in einem Zug leeren und meine Flaschen wieder füllen. Die Füße mögen überhaupt nicht mehr laufen und so erreiche ich wie auf rohen Eiern gehend den idyllisch gelegenen Lahnhof an der Lahnquelle. Ich bestelle Unmengen an Kaltgetränken, esse Kässpätzle und gehe früh zu Bett.
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10. Etappe: Lahnhof - Freusburg
Donnerstag, 19.06.2014 | Teile der Etappen 6.7 Lahnhof - Siegen und 6.8 Siegen - Herdorf | ca. 31km (+ 9 km im Auto)
Es ist kühl und bewölkt, als ich mich morgens auf den Weg mache. Mein geplantes Tagesziel ist die Stadt Siegen, nur einen "20-Kilometer-Spaziergang" entfernt. Waren die Etappen in den letzten Tagen landschaftlich in der Regel sehr reizvoll und abwechsungsreich, ist der Weg heute eher eintönig. Viel Wald und immer weniger Höhenmeter. Je näher ich Siegen komme, desto mehr Mountainbikern und Tagesausflüglern begegne ich. Mit einem der Mountainbiker komme ich ins Gespräch. Er ist selbst schon auf dem E1 gewandert und ist gerne auch in den Alpen unterwegs. Wir reden viel über die Berge und er berichtet mir, dass die Stettiner Hütte (eine traumhaft gelegene Alpenvereinshütte auf 2.875 Metern Höhe) im Winter von einer Lawine fast vollständig zerstört wurde. Ich bin fassungslos, bin ich doch drei Jahre zuvor auf einer meiner schönsten Wanderungen dort eingekehrt.
Diese Neuigkeit begleitet mich die letzten Kilometer bis Siegen. Kurz vor dem Zentrum hält neben mir ein Auto. Es ist der Mountainbiker - jetzt vielmehr Autofahrer - dem ich eben begenet bin. Er bietet mir an, mich zu einem italienischen Restaurant zu fahren, wo man günstig übernachten könne. Ich nehme das Angebot an. Er setzt mich ab, aber leider ist dort kein Zimmer mehr frei. Draussen hat der unbekannte Helfer inzwischen gewendet, sieht mich aber und bietet mir an, mich zu einer anderen Unterkunft zu bringen. Wieder nehme ich dankbar an.
Es wird eine längere Fahrt zu mehreren Unterkünften und so haben wir Zeit ein wenig mehr über die Berge zu sprechen. Leider bleibt die Suche erfolglos. Mir ist es ein bißchen unangenehm, so herumkutschiert zu werden und überlege zur Jugendherberge Freusburg weiterzuwandern. Da mich Siegen nicht sonderlich anspricht, ist es eine verlockende Vorstellung stattdessen auf einer Burg zu nächtigen. Da es allerdings noch ganze 18 Kilometer bis dorthin sind, nehme ich auch das Angebot meines Fahrers an, mich ein Stück aus Siegen heraus zu fahren und mich dort wieder am E1 abzusetzen. Unglaublich, dass ein fremder Mensch spontan so umfangreich seine Hilfe anbietet. Mir ist bewusst, dass ich nun schon zum zweiten Mal "schummel", indem ich ein paar Kilometer abkürze, aber der Wunsch zur Freusburg zu kommen überwiegt. Es sind außerdem ja trotzdem noch fast 10 Kilometer zu gehen.
Dieser letzte Abschnitt ist sehr mühsam, die ursprünglich geplante Etappe hatte mir eigentlich schon gereicht und die Füße schmerzen. Nach langen Wegen durch den gefühlt endlosen Wald erreiche ich am Ende dieses grau verhangenen Tages und eines äußerst steilen Schlußanstiegs die Freusburg. Ein toller Ort, der sich perfekt als Etappenende eignet. Es gibt mehrere Speisesäle im historischen Teil der Burg. Und so sitze ich zum Abendessen im Erker eines dieser Säle und genieße die tolle Fernsicht über die umliegenden Höhenzüge.
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11. Etappe: Freusburg - Herdorf
Freitag, 20.06.2014 | Teil der Etappe 6.8 Siegen - Herdorf | ca. 11km
Heute soll es eine echte Erholungsetappe geben. Bis nach Herdorf sind es gerade einmal 11 Kilometer. Aber heute läuft gar nichts mehr rund. Es nieselt, es ist kalt, ich fühle mich einsam und verpasse ständig meine Abzweigungen. Meine Stimmung ist auf dem Tiefpunkt. Ein Kreuzweg führt zu einer geologischen Sehenwürdigkeit, dem Druidenstein. Leider haben diesem Naturdenkmal die letzten Jahrhunderte ordentlich zugesetzt. Im dreißigjährigen Krieg wurde ein ganzer Teil seiner Spitze abgetragen und nun steht er wie hindrappiert auf einer gemähten Wiese mit einem Kreuz auf dem Kopf. Dennoch ein Hingucker. Weiter durch den Wald.
Auf einem geraden Forstweg schrecke ich ein Reh uns sein Rehkitz auf. Während das Muttertier flüchtet, sürzt das Junge verwirrte direkt vor mir auf den Weg, bleibt zitternd stehen, schaut mich an und verschwindet schließlich unbeholfen im Wald. Einige Hundert Meter weiter versetze ich eine Gruppe Wildschweine in Aufruhr. Ich fühle mich wie ein Störenfried, was ich ja in diesem Moment ganz eindeutig auch bin.
Lustlos geht es weiter und hinab in Richtung Herdorf. Von einem Aussichtspunkt oberhalb des Ortes wird einem ein Ausblick auf das Tal geboten. Der Ort passt genau zu meiner Stimmung. Ich wandere entlang einer Durchfahrtsstraße vorbei an vielen leerstehenden Geschäften. Ein wahnsinniger Verkehr. Mein Versuch, in einem der verbliebenen Läden eine Wanderkarte zu erwerben schlägt fehl. Weiterzulaufen kommt für mich nicht in Frage. Ich finde einen Eintrag zu einem Hotel Schwarzmeer, rufe auf einer dazugehörigen Handynummer an und verabrede mich mit dem Besitzer am Hotel. Ich mache mich im Regen auf den Weg dorthin und warte. Das Ding sieht schon von außen aus wie eine Bruchbude. Der Besitzer, der mit einiger Verspätung vorgefahren kommt kann wohl in meine Gedanken lesen und sagt: "Von Innen sieht es besser aus". Tatsächlich kommt mir beim Betreten in den Sinn: Hier SAH es früher vielleicht wirklich mal besser aus. Auf den ersten Blick sieht das Zimmer zwar altmodisch, aber in Ordnung aus. Erst, als mich der Besitzer bar kassiert und allein gelassen hat, fallen mir verschiedene Dinge auf: Auf dem Nachtschrank steht eine angebrochene Flasche Wasser, Tische und Schränke sind klebrig, der Fussboden dreckig, das versprochene WLAN gibt es nicht, der Fernseher ist auf Grund einer in Einzelteile zerlegten Fernbedienung nicht nutzbar, das Wasser aus der Leitung stinkt ekelhaft und ob die Betten frisch bezogen sind, ist unklar. Draussen ist es so ungemütlich und ich bin so niedergeschlagen, dass ich mich willenlos meinem Schicksal ergeben und beschließe zu bleiben.
Den Nachmittag verbringe ich dösend oder telefonierend. Ich fühle mich einsam und brauche ein paar aufbauende Gespräche. Ich überlege immer wieder, ob ich meinen Weg wirklich fortsetzen will, das soll ja schließlich alles keine Qual sein, sondern Freude machen. Und so richtig rund läuft es mit den schmerzenden Füßen auch nach wie vor nicht. Was zur Hölle mache ich hier in diesem schrecklichen Hotel in diesem trostlosen sauerländischen Kaff?
Am Abend geht gegenüber im "Rattenloch", einer Rock- / Punk- / Metalkneipe der Abend los. Ich betrachte, wie nach und nach ein paar Junge Menschen in dem Ding verschwinden. Der Laden sieht übel aus, macht mich aber auch ein bisschen neugierig. Schlimmer als im Zimmer kann es eigentlich nicht sein und vielleicht ist es ja ganz lustig im "Rattenloch". Meine Faulheit und der Wunsch am nächsten Morgen so früh wie möglich aufzubrechen lassen mich jedoch in meinen Schlafsack kriechen, in dem ich sicherheitshalber auf dem Bett schlafe.
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12. Etappe: Herdorf - Bad Marienberg
Samstag, 21.06.2014 | Teile der Etappen 7.1 Herdorf - Fuchskaute und 7.2 Fuchskaute - Bad Marienberg | regulär ca. 38km, davon ca. 6 km abgekürzt
Froh endlich loszukommen, aber immer noch in schlechter Grundverfassung mache ich mich im Morgengrauen auf den Weg. Es ist nach vor kalt und ungemütlich. Gegenüber im "Rattenloch" werden die letzten Gäste von ihren Eltern abgeholt. Für den heutigen Tag habe ich mir einen Plan-B überlegt, ich rufe im Laufe des Tages bei der Fuchskaute an und erfrage einen Schlafplatz, übernachten im Zelt kommt für mich momentan nicht in Frage. Sollte es dort keinen Schlafplatz geben, könnte ich bei Bedarf die Etappe etwas abkürzen und direkt nach Bad Marienberg wandern. Die Fuchskaute würde ich in diesem Fall aber verpassen.
Der Weg führt steil bergauf aus Herdorf heraus. Meine erste "Westerwald"-Etappe liegt vor mir. Ein Höhenweg führt durch endlose Fichtenwälder. So sehr ich den Wald liebe, schnurgerade Forstwege gehören nicht zu meinen Favoriten. Nach wenigen Kilometern stehe ich vor einer sehr nett ausschauenden Waldwirtschaft. Dort werden wohl auch kleine Ferienwohnungen vermietet. Ach wäre ich am Vortag nur doch noch weiter gelaufen, vielleicht hätte ich hier gemütlich einkehren können und hätte gleichzeitig eine zu bewältigende Etappe nach Bad Marienberg vor mir gehabt.
Hätte, hätte, Fahrradkette. Am Wegesrand ziehen mich gigantische Ameisenhaufen in ihren Bann. Ich könnte stundenlang davor stehen bleiben und dem scheinbaren Durcheinander zuschauen. An manchen Stellen sind vermutlich durch Sturmeinwirkungen kleine Schneisen und Freiflächen im Wald entstanden. Für diese bin ich sehr dankbar, bieten sie doch etwas Abwechslung und gelegentlich eine schöne, wenn auch trübe Fernsicht. Mitten im Wald liegen die sogenannten "Trödelsteine". Bei dieser Felsformation handelt es sich laut Wikipedia um ein "Säulen- und Blockfeld aus Feldspatbasalt". Toll anzuschauen. Ich wünschte, ich hätte mehr Ahnung von Geologie.
Ich verlasse den Wald, erreiche eine Siedlung und folge einer Strasse in ein trostloses Gewerbegebiet am Flughafen Siegerland. Von dort rufe ich beim Gasthaus Fuchskaute an, um zu erfragen, ob noch ein Zimmer für die Nacht frei ist. Leider ist dies nicht der Fall und so beschließe ich schweren Herzens, wieder ein wenig abzukürzen, die Fuchskaute auszulassen und direkt nach Bad Marienberg weiterzulaufen. Ein paar Kilometer weiter südlich stoße ich bei Stein-Neukirch wieder auf den E1 und beginne meinen Aufstieg zum "Salzburger Kopf" entlang einer Ski-Abfahrtspiste. Und wie es sich für ein richtiges Skigebiet gehört, thront oben auch eine entsprechende Hütte. Namensgebend ist der nah gelegene Ort Salzburg (Westerwald). Der Winter ist noch fern, doch in der Hütte sind ein paar Menschen dabei, alles für einen größeren WM-Fernsehabend vorzubereiten. Mir wird freundlicherweise gleich ein Bier angeboten, das ich dankend ablehne (bin ich krank?), aber stattdessen eine Apfelschorle erbitte. Wieder so eine nette Begegnung. Man kommt nur so vorbei, und schwupps hat man ein Getränk in der Hand. Solche Dinge können doch sehr dazu beitragen, die eigene Laune zu heben.
Und nur wenige Kilometer wartete die nächste Überraschung auf mich. Im verschlafenen Örtchen "Hof" komme ich mit einer freundlichen alten Frau ins Gespräch, die ihren Bürgersteigt fegt. Wobei es da meiner Meinung nach nichts zu fegen gibt, da schon alles blitzblank ist. Sie will mich direkt zu Keksen ins Haus einladen, was ich allerdings ablehne, da ich bald weitermöchte. Wir sprechen noch eine Weile, sie erzählt von einer Begegnung mit einem andern Wanderer, den sie bei schlechtem Wetter bei sich übernachten ließ und der ihr später eine Postkarte geschickt hatte, worüber sie sich sehr gefreut habe (zumindest erinnere ich die Geschichte so). Und auch mich möchte sie nicht einfach vorüberziehen lassen, zumindest nicht ohne eine große Tafel Schokolade und eine Packung Prinzenrolle. Ich kann sie gerade noch davon abhalten, nochmal ins Haus zu verschwinden um noch Erdbeeren und eine Flasche Hohes-C zu holen.
Am frühen Nachmittag erreiche ich nachmittags mit wiedermal stark schmerzenden Füßen die Jugendherberge in Bad Marienberg. Und als ob es nicht schon Geschenke genug gab an diesem Tag, wartete noch ein weiteres auf mich: An der Rezeption konnte ich doch noch die Wanderkarte erhalten, die ich Tags zuvor vergeblich versucht hatte in Herdorf zu kaufen. Sie wurde von einem anderen Wanderer zur Weitergabe zurückgelassen und der E1 war bereits rosafarben markiert. Das sag mir sehr nach einem zweiten, unverhofften Geschenk von Markus aus. Sachen gibt's...
Abends laufe in noch in den Ortskern, esse eine leckere Portion Spaghetti mit Scampi im Biergarten eines italienischen Restaurants und verfolge schon etwas angeschwippst die erste Halbzeit des WM-Gruppenspiels zwischen Ghana und Deutschland. Da mir die Deutschland-Euphorie und das "Unser Idol heißt Jogi Löw"-Gesinge irgendwann zu viel wurde, gehe ich zurück zur Jugendherberge und verfolge die zweite Halbzeit im Gemeinschaftsraum.
Schon eine ganze Ecke besser gelaunt als an den letzten Tagen schlafe ich ein und freue mich auf die weitere Wanderung. So schnell kann's gehen.
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