1972 wurden in Konstanz die ersten Europäischen Fernwanderwege der Öffentlichkeit übergeben. Die Wurzeln des Wegverlaufs in Deutschland reichen sogar noch deutlich weiter zurück.
Nach dem zweiten Weltkrieg gab es in einigen europäischen Ländern die Bestrebung, vorhandene nationale Wanderwege international zu verbinden und damit auch die europäischen Völker und Staaten einander anzunähern.
Im Jahr 1969 mündeten diese Bestrebungen schließlich in der Gründung des Europäischen Wanderverbands (EWV) und dem Vorhaben, alle europäischen Staaten mit ihren bekanntesten und interessantesten historischen und Natursehenswürdigkeiten mittels sechs grenzüberschreitender Fernwege zu verbinden (E1 – E6)1.
Ihre Hauptziele wurden dabei von der EWV in ihrer Satzung verankert: Das Wandern und Bergsteigen zu pflegen, die Umwelt zu schützen, das grenzüberschreitende Wandern durch Vereinfachung der Pass- und Zollvorschriften zu erleichtern und vor allem zur Völkerverständigung beizutragen2.
Dies geschah zu einer Zeit in der die europäischen Staaten noch durch gesicherte Grenzen voneinander getrennt waren, der „Eiserne Vorhang“ Europa in Ost und West spaltete und eine echte europäische Einheit noch in weiter Ferne lag.
Auf diese Zeit und ihre politischen Umstände Bezug nehmend erläutert Jan Havelka (ehemaliger Präsident des EWV) in einer Rede von 2005:
„[…] Deshalb konnte die Idee der Errichtung von Fernwanderwegen für die Annäherung der europäischen Völker und Staaten als reine Utopie scheinen.
In einigen mittel- und westeuropäischen Staaten begann man jedoch die Wege zu markieren und es entstand eine Landkarte mit vorgesehenen Wegen durch das ganze Europa. Bereits nur die Landkarte selbst rief in einigen Menschen Enthusiasmus und in anderen Angst hervor. Das allein deutete bereits die Stärke dieser Idee.“
Es wurde eine Wegekommission eingerichtet, deren Aufgabe darin bestand, die bestehenden nationalen Wanderwege miteinander zu vernetzen und die Arbeit der national oder lokal zuständigen Wanderverbände zu koordinieren.
Am 02. Juli 1972 - nur drei Jahre nach Gründung der EWG – konnten in Konstanz, wo sich E1 und E5 kreuzen, die ersten europäischen Fernwanderwege der Öffentlichkeit übergeben werden. An dieses Ereignis erinnert vor Ort noch heute eine Bronzetafel.
Bei seiner Übergabe war der E1 noch weit davon entfernt, „fertig“ und durchgängig wanderbar zu sein. Einige Abschnitte, vor allem in Skandinavien und Italien, gab es nur auf dem Papier oder mussten noch erarbeitet werden.
Doch seit der Übergabe wurde der Wegverlauf immer weiter konkretisiert und es wurden kontinuierlich Streckenabschnitte ergänzt und verbunden. So wurde am 04. Juni 2013 die Wegführung in nördlicher Richtung bis zum Nordkap durch den norwegischen DNT fertiggestellt3. Der Großteil des E1 ist somit heute wanderbar, wenn auch nur in Teilen durch ein eigenes Wegzeichen markiert. Mehr zur Markierung erfährst Du hier.
Stellte für einige Jahre die norditalienische Stadt Genua den südlichen Endort des E1 dar, ist es mittlerweile möglich, den Weg über den Gebirgszug des Appenin nach Süden fortzusetzen. Der zusammenhängende Wegverlauf endet derzeit südlich in Fortino an der Grenze von Kampanien und Basilikata.
Am 26.04.2016 wurde ein erster Abschnitt in Sizilien zwischen den Monti Nebrodi und Nicolosi eröffnet.4 Die fehlenden Abschnitte in Basilikata, Kalabrien und Sizilien werden derzeit erarbeitet. Im Süden soll der finale E1 am Capo Passero enden.
In Schleswig-Holstein wurder der E1 um eine Westvariante ergänzt. Auch diese ist durchgängig mit dem Andreaskreuz markiert.
In Deutschland konnte für den Verlauf des E1 bereits in weiten Teilen auf die Wegführung eines existierenden Weitwanderwegs zurückgegriffen werden. Bereits auf dem Deutschen Wandertag 1929 in Königstein/Elbe wurde der Entschluss zur Einrichtung mehrerer großer Weitwanderwege durch Deutschland gefasst. Darunter in Nord-Süd-Richtung der „Deutsche Wanderweg Nordsee – Bodensee“ und in West – Ost Richtung der „Wanderweg Saar – Schlesien“. In den 30er Jahren wurden diese Wege realisiert und markiert.
Der Nordsee – Bodenseeweg entspricht dabei weitestgehend dem heutigen E1 auf deutschem Gebiet, auch war dieser schon mit dem noch heute gültigen Andreaskreuz markiert. Etwas irreführend ist allerdings die Bezeichnung „Nordsee“ im Namen, schließlich endete der Weg im Norden in Hamburg und somit gut 100 Kilometer von der Küste entfernt.
Um den ehemaligen „Nordsee – Bodensee – Weg“ in den geplanten E1 integrieren zu können, musste in nördlicher Richtung ein Anschluss an die dänische Grenze geschaffen werden. Dieser Anschluss wurde rechtzeitig zur Übergabe 1972 durch den Wanderverband Norddeutschland realisiert.
Sofern nicht anders angegeben, stammen die Informationen zur Geschichte und Entwicklung des E1 und der EWV aus Gesprächen mit Frank Schlinzig im Herbst 2015 oder von ihm zur Verfügung gestellten Dokumenten. Frank Schlinzig war unter anderem zehn Jahre lang Vorsitzender der Wegekommission des Europäischen Wanderverbands sowie Hauptwanderwart des Deutschen Wanderverbands. Ihm gilt mein persönlicher Dank für seine freundliche und umfangreiche Unterstützung bei der Recherche.
Sven Lewerentz, 07.02.2016
1: Aus einer Rede von Jan Havelka auf dem Deutschen Wandertag 2005 in Thüringen
2: „Auf Europas großen Wegen“ von Robert Wurst, 1996, ISBN 3-222-12346-2
3: DNT - https://www.dnt.no/e1/
4: FIE Sicilia - http://www.fiesicilia.it/ (Link defekt)
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