Der E1 bietet die Gelegenheit Italien vom Alpenraum im Norden über den Apennin bis nach Sizilien im Süden zu erwandern und führt dabei durch abwechslungsreiche und eindrucksvolle Landschaften und historische Ortschaften. Was das Wandern auf dem E1 in Italien ausmacht, wie es um den Weg und seine Zukunft bestellt ist und was unter "Wandern von Mensch zu Mensch" zu verstehen ist, erfahren wir in diesen Interview von Mimmo Pandolfo, dem Präsidenten des italienischen Wanderverbands, der FIE.
Vielen Dank, dass ich Ihnen ein paar Fragen zum E1 stellen darf. Können Sie Sich und Ihre Organisation bitte kurz vorstellen?
Der italienische Wanderverband FIE fördert Wandern, Skifahren, regelmäßiges Gehen, Wasserwandern und andere Aktivitäten in der Natur in ganz Italien. Mit über 210 angeschlossenen Verbänden und mehr als 12.500 Mitgliedern ist er ein großes Netzwerk, das im ganzen Land tätig ist. Sein Hauptsitz ist historisch bedingt in Genua, der Stadt, in der er 1946, nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs, wieder neu gegründet wurde. Die FIE ist eine moralische Körperschaft, die durch das Dekret Nr. 1152 vom 29. November 1971 durch den Präsidenten der Republik anerkannt wurde. Sie wurde darüber hinaus durch das Dekret Nr. 224 vom 23. Mai 2018 des Ministeriums für Umwelt, Landschafts- und Meeresschutz als Umweltschutzverband anerkannt. Die FIE ist mit Federparchi assoziiert und tritt der Allianz für sanfte Mobilität - AMODO - bei.
Was bedeuten Ihnen die europäischen Fernwanderwege – insbesondere der E1 um den es ja primär auf unserer Webseite geht? Was ist für Sie das Besondere?
1969 wurde die Europäische Wandervereinigung (ERA-EWV-FERP) gegründet, deren 3. Vizepräsident ich bin und in dem die FIE Mitglied ist. Die FIE ist der einzige italienische Verband, der der ERA-EWV-FERP angehört. Eines der ersten Projekte, das von den Gründungsvätern ins Auge gefasst wurde, war das Netz der europäischen Fernwanderwege.
Das Ziel dieser Wege ist es, den europäischen Wanderern und nicht nur ihnen ein Wegenetz zur Verfügung zu stellen, das es ihnen ermöglicht, "von Mensch zu Mensch zu wandern" und so zur Überwindung geographischer Grenzen und zum Abbau kultureller Barrieren und Vorurteile beizutragen, die auf der Unkenntnis der vielen in Europa existierenden Realitäten beruhen.
Der E1 hat seinen eigenen Reiz, weil er in idealer Weise alle von der ERA gewünschten europäischen Fernwanderwege repräsentiert. Ein Wanderweg, der die beiden Extreme des alten Europa verbindet, vom kalten Norden bis zum warmen Süden und dabei 6 Nationen fast senkrecht durchquert: Norwegen, Schweden, Dänemark, Deutschland, Schweiz und Italien1. Einen besonderer Reiz wegen der Vielzahl von Ländern und unterschiedlichen Kulturen.
Der E1 bietet die Möglichkeit, Italien von Nord nach Süd zu durchwandern und durchquert dabei viele abwechslungsreiche Regionen. Gibt es Landschaften oder Sehenswürdigkeiten, die Sie interessierten Wanderern besonders ans Herz legen möchten? Was gibt es auf dem E1 in Italien zu entdecken?
Auch in Italien, einem Land, das sich der Länge nach von Nord nach Süd erstreckt, wiederholt der E1 das Muster in Bezug auf dessen Verlauf vom Nordkap bis zum Capo Passero.
Italien ist eine Schatzkiste, die verschiedene Landschaften und Kulturen vereint: Man darf nicht vergessen, dass Italien über einen langen Zeitraum eine Nation der Gemeinden und später der Kleinstaaten war. Dies hat eine Vielfalt an inneren Werten auf italienischem Gebiet geschaffen.
Der E1, der die italienischen Regionen (Lombardei, Piemont, Ligurien, Toskana, Umbrien, Abruzzen, Latium, Kampanien, Basilikata, Kalabrien und Sizilien) durchquert, führt durch die herrliche Natur zunächst der Alpen und dann des Apennins. Dabei werden tausendjährige Dörfer durchquert, die Kunstwerke und Denkmäler bergen, die von der Geschichte und dem Leben der Menschen und ihren mit der Kochkunst verbundenen Traditionen zeugen, was wegen der großen Unterschiede, die wir am Ende jedes Wandertages würdigen können, in Italien eine Reise innerhalb der Reise ist.
Der E1 wurde in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich erweitert. Bis zur Fertigstellung eines durchgehenden Streckenverlaufs zwischen dem Nordkap und dem Capo Passero auf Sizilien fehlen nur noch Abschnitte in Basilikata und Kalabrien. Wie sehen Ihre Pläne aus, auch diese Lücke zu schließen und den E1 auf seiner geplanten Länge fertigzustellen?
Der letzte Abschnitt, der noch geplant werden muss, ist der Abschnitt durch die Basilikata (auf der tyrrhenischen Seite) und Kalabrien. Die FIE arbeitet über die ihr angeschlossenen Verbände an der Ausarbeitung der Strecke, die - daran sei erinnert - etwa 450 km lang ist, ausgehend von dem kleinen Dorf Fortino, dem letzten Dorf an der Grenze zwischen Kampanien und der Basilikata, bis nach Villa S. Giovanni und Reggio Calabria.
Wir vertrauen sehr auf den Enthusiasmus und die Leidenschaft des lukanischen und kalabrischen Verbandes der FIE, um diesen letzten Abschnitt baldmöglichst zu realisieren. Ich möchte jedoch darauf hinweisen, dass dank der Arbeit des Verbandes der FIE Escursionisti Appenino Paolano mit Sitz in Paola bereits eine hervorragend realisierte Strecke von ca. 110 km (in 6 Etappen) zur Verfügung steht.
Es handelt sich um einen "Il Cammino di S. Francesco di Paola" genannten Wanderweg, der S. Marco Argentano mit Paola verbindet und der von Paola bis zum Paterno Calabro weiterführt. Dieser ist ein thematischer Weg, der das Leben des Heiligen Francesco von seiner Heimat bis zu den Orten verfolgt, an denen er im ersten Teil seines Lebens seine asketische Erfahrung gemacht hat.
In den letzten Jahren wurden neue, große Abschnitte des E1 auf Sizilien, in Latium, Abruzzen, Molise und Kampanien fertiggestellt und eingeweiht. Können Sie uns etwas über diese neuen Abschnitte und deren Entstehung erzählen?
Der E1 folgt in diesen Regionen sowohl in der Talsohle als auch in den Bergen alten Verbindungswegen. Wie ich bereits sagte, verbindet der E1 die Landschaften und die Geschichte der Orte, die er durchquert, und wertet sie auf diese Weise auf. Dies war das Leitmotiv, an dem sich die Ehrenamtlichen bei der Ausarbeitung des Wegverlaufs orientierten.
Wanderwege haben das Potenzial in strukturell schwachen Regionen einen sanften Tourismus zu etablieren, der helfen kann von Abwanderung bedrohten, wirtschaftlich schwachen Regionen, neue ökonomische Perspektiven zu bieten. Sehen Sie solches Potenzial auch für den E1? Welche ökonomische Bedeutung hat der E1 für die Regionen, durch die er führt?
Ich sage in meinen Beiträgen oft, dass das Wandern in ländlichen Randgebieten, die von Entvölkerung bedroht sind, nicht nur einen wirtschaftlichen Vorteil im Zusammenhang mit dem Tourismus bringt, sondern auch die Hoffnung, dass sich für diese Gebiete etwas ändern könnte.
Aber Hoffnung reicht nicht aus, um die Lebensbedingungen und Erwartungen der Menschen, die dort leben, zu verbessern. Eine solide Wirtschaft muss mit der Arbeit aller Interessensgruppen eines Gebietes aufgebaut werden.
Jeder muss seinen Beitrag leisten. Ich beziehe mich auf die Notwendigkeit, einen Ort unverwechselbar und interessant zu machen: Dies kann vor allem dann erreicht werden, wenn an diesem Ort interessante Dinge getan werden können oder geschehen.
Deshalb sage ich, dass jeder einzelne dazu aufgerufen ist, seinen Beitrag zu leisten. Seinen Beitrag zu leisten, um das Schicksal eines Landstrichs zu verändern, der - so schön er auch sein mag - interessant werden muss, um mit anderen Orten mithalten zu können, die ebenso schön sind, sich aber dadurch auszeichnen, dass sie einem erlauben, etwas Interessantes zu tun oder zu erleben! Das berühmte „can do“!
Bereits kurz nach dem zweiten Weltkrieg gab es Bestrebungen länderübergreifende Wanderwege zu realisieren und damit einen Beitrag zur Völkerverständigung zu leisten. Ende der 60er Jahre mündeten diese Bestrebungen schließlich in der Einweihung der ersten E-Wege. Wie sehen Sie die Bedeutung der E-Wege in Bezug auf diesen völkerverbindenden, europäischen Charakter?
Wie ich bereits sagte, war der Bau des gemeinsamen europäischen Hauses auch durch die Praxis des Wanderns von Mensch zu Mensch, die Vision, die das Handeln der Gründerväter der ERA-EWV-FERP geleitet hat. Ich glaube, dass diese Idee, auch dank des Wanderns, beachtliche Schritte in die Zukunft gemacht hat.
Die wandernden Menschen finden es ganz natürlich, Erfahrungen miteinander auszutauschen, zu kooperieren und gemeinsam an Veranstaltungen teilzunehmen, die das Ziel haben, dauerhafte Freundschaft und gegenseitigen Austausch aufzubauen.
Der E1 ist ein Sinnbild dieser Philosophie: Er ist ein beispielhafter Berührungspunkt der europäischen Kulturräume. Von den Menschen, die im äußersten Norden leben, bis zu der mediterranen Bevölkerung, jede mit einem anderen kulturellen Hintergrund, aber alle mit dem Ziel, sich gegenseitig kennenzulernen.
Einige populäre, lokale Wanderwege in Deutschland profitieren von einem professionellen Marketing durch die ansässigen Tourismusverbände oder Kommunen. Die E-Wege hingegen sind oft nicht so bekannt, obwohl sie teils auf denselben Routen verlaufen. Außerhalb der klassischen Wanderregionen ist es oft schwierig Gelder und Ehrenamtliche zur Pflege des Weges zu akquirieren. Wie ist die Situation in Italien? Gibt es für die E-Wege in Italien eine Art Marketingkonzept? Wie werben Sie um Wanderer und welche Form des Tourismus wünschen Sie sich entlang der E-Wege?
Italien entgeht dieser negativen Regel nicht, die meines Erachtens auch in anderen europäischen Ländern recht weit verbreitet ist. Die Welt der Politik ist nicht immer bereit, durch geringe Investitionen in die Instandhaltung der Infrastruktur Vorteile für die Regionen und ihre Einwohner zu erreichen. Ich beziehe mich auf den Bau und die Instandhaltung eines europäischen Fernwanderweges und die wirtschaftlichen Vorteile, die dadurch erzielt werden können, wenn er richtig bekannt gemacht wird.
Die Arbeit, die die FIE der lokalen und europäischen Gemeinschaft zur Verfügung gestellt hat, um europäische Wanderwege zu kartographieren und zu unterhalten, konnte bisher größtenteils dank der Arbeit ihrer Freiwilligen geleistet werden. In einigen Fällen konnte mit bescheidenen finanziellen Beiträgen gerechnet werden, hauptsächlich von den Gemeinden oder ihren Organisationen, die am Fernwanderweg liegen.
Die Arbeit wurde und wird von den Freiwilligen des italienischen Wanderverbands geleistet. Die Werbung für die europäischen Fernwanderwege läuft über die heute üblichen, digitalen Kanäle wie der offiziellen Website unserer Föderation (www.fieitalia.com) und den sozialen Netzwerken (Facebook und Instagram).
Ein Weg, der hervorragende Ergebnisse liefert, ist die Organisation von ein- oder mehrtägigen Wanderveranstaltungen auf Abschnitten des europäischen Fernwanderweges, zur Förderung des nationalen und internationalen Bekanntheitsgrades.
In Italien wurden bereits zwei "International Walk" organisiert, 2013 auf dem E12 - Sentiero del Mediterraneo (die erste Veranstaltung dieser Art bei ERA-EWV-FER) und die zweite 2018 auf dem E1 in Sizilien. In beiden Fällen war es ein echter Erfolg.
Was wir uns für unsere Europäischen Fernwanderwege in Italien erhoffen? Es ist der Wanderer, der die Natur liebt, der die Geschichte der Orte kennen lernen will, der von der Begegnung mit anderen Menschen fasziniert ist und der die Bedeutung des guten Zusammenlebens kennt.
Die Begehbarkeit und Qualität der Markierung einzelner Abschnitte des E1 in Italien scheint sehr unterschiedlich zu sein. In einigen Regionen berichten Wanderer von zugewachsen, zerstörten oder nicht markierten Abschnitten. Werden alle Abschnitte des E1 in Italien aktiv gewartet? Wie ist die Wartung der Wege in der Regel organisiert?
Wie ich bereits sagte, werden die Planungs-, Bau- und Instandhaltungsmaßnahmen von eigenen Ressourcen der FIE erbracht, sowohl in Bezug auf die personellen als auch auf die wirtschaftlichen Ressourcen.
Es besteht jedoch die Gefahr, dass dies nicht ausreicht, um alle Bedürfnisse abzudecken, die ein so großes Unternehmen wie dieses mit sich bringt. Aber das Herz der FIE ist immer auf den Wegen präsent.
Wir fahren mit einer Überprüfung der Wegabschnitte in verschiedenen Regionen fort: So wurde beispielsweise die Instandhaltung von etwa 400 km Wegstrecke des E1 in der Toskana gerade abgeschlossen. Dieses Ergebnis sollte mit einer offiziellen Veranstaltung im Juli 2020 gefeiert werden,… aber die COVID-19 Pandemie hat die Schwierigkeiten hervorgerufen, die wir alle kennen. Der Termin wird jedoch nur verschoben!
Welche Wünsche haben Sie für die Zukunft des E1?
Das Ziel der FIE für die nächsten Jahren ist es, die fehlenden Abschnitte des E1 zu kartografieren und zu realisieren und die Instandhaltung der gesamten italienischen Strecken zu verbessern von Porto Ceresio (an der Grenze zur Schweiz, wo der E1 nach Italien übertritt) bis zum Capo Passero. In einem speziellen Abschnitt der offiziellen Website der FIE soll alles veröffentlicht werden, was nützlich sein kann, um den E1 kennenzulernen und zu begehen.
Es ist eine gewaltige Herausforderung mit großen Fragezeichen hinsichtlich der verfügbaren Mittel. Aber wie man so sagt, besteht der Weg aus einzelnen Schritten, die hintereinander gesetzt werden. Unser Weg auf dem E1 ist in ständiger Entwicklung, und wir zählen darauf, in unserem Unterfangen weiterzukommen…
Vielen Dank für dieses Gespräch!
Ein herzliches Dankeschön auch an Giulia Bonetti und Uta Lewerentz für ihre Unterstützung bei der Übersetzung!
1 Tatsächlich verläuft der E1 auch durch Finnland und damit durch sieben Länder, auf Grund der Kürze des finnischen Abschnitts wird Finnland offiziell durch den ERA-EWV-FERP aber nicht gelistet